Ich frage mich, wer sie ist. Was hat sie mit mir zu tun?
Heute morgen war sie schon weg, als ich wach wurde. Schnell und ohne Ziel, lief sie durch den Ort.
Dieses Laufen in der Kälte und Frische machte sie für kurze Zeit glücklich. Sie wunderte sich, dass sie hier so regelmäßig Rechenschaft über ihre Tage ablegt. Sie ist zufrieden, weil sie umgehend angefangen hat zu schreiben, sobald sie wach war. Sie ist kurz bevor der Wecker geklingelt hätte, wach geworden.
Darum habe ich nichts bemerkt.
Der Tag fängt gut an, hat sie heute morgen geschrieben. Weltfrauentag. H.´s Geburtstag. In den Träumen mischt sich alles, das Gelesene, das Gehörte, das, was sowieso immer da ist.
Es ist jetzt 6.00 h morgens, schreibt sie, ich habe mich wach geschrieben, habe meine Träume aufgeschrieben (traurige kleine Träume voll ungelenker Verzweiflung). Ich habe mir einen löslichen Kaffee gemacht. Der Anstaltskaffee ist unerträglich.
Manchmal spricht sie von ihrem Mann, dass sie beginnt, sich nach ihm zu sehnen. Sie sieht nicht aus, wie eine Frau, die sich sehnt. Ich frage mich, wie sie mich sieht, was sie in mir sieht, ob sie sich überhaupt Gedanken über mich macht. Und ob sie weiß, wie brüchig alles ist, wie brüchig sie selbst ist. Fragen, die man nicht stellen darf. Wann hat man das gelernt? Wann habe ich das so verinnerlicht, dass ich solche Fragen erst viel später auf dem Papier ausdenken kann?
Irgendwann im Laufe des Tages, passiert es. Es hat nicht einmal etwas mit ihr zu tun. Aber sie ist dabei, sie sieht es. All diese Geschichten, all diese Tränen, all diese Verzweiflung, für die es keine Lösungen gibt, die man einfach nur aushalten muss. Und es kommen ein paar Tränen und dann bin ich wieder leer und so kalt und abgebrüht, dass ich alles sofort nieder denken kann. Außer ihrem Blick. Ihrer Gegenwart.
Ich: haltlos, belanglos, überflüssig und unzureichend.
Und sie: anwesend, aufmerksam. Still.