
Sanft greift die Trauer nach der Frau an der Tür, glättet ihre Züge und lässt sie gehen. Nichts entgeht ihrem Blick, den alles durchdringt, ohne sich erkennen zu geben. Am Himmel hängen Geigen voll abscheulicher Lieder, aber nie wieder ein Mond.
Der
Regensänger lebt fern von jeder Berechnung. Er fließt in zwei entgegengesetzte Richtungen, ohne zu zerreißen. Er ist klein wie ein Tropfen und durchsichtig wie Glas.
Sein Gesang erhebt sich in die Wirklichkeit einer unfassbaren Berührung. Er ist der fehlende Ton in jedem Gedicht.
Diese Lücke, die das Leben ausfüllt.
Dieser Gedanke tauchte auf, wie manchmal Sterne auftauchen, oder der Mond an einem sehr bewölkten Himmel. Es musste ihn viel Kraft gekostet haben, sich bis hierher zu bewegen, so viel Kraft, dass er mit einem Mal ganz farblos war, schwächlich und so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte.
Ich fragte mich, wie es dieser Gedanke zu mir geschafft hatte, was ihm so wichtig gewesen war, diese Anstrengung auf sich zu nehmen.
„Kennen wir uns?“, fragte ich.
Das ermunterte ihn. Das machte ihn nicht nur fröhlich, sondern nahezu übermütig.
„Du wirst mich schon kennenlernen“, kicherte er.
So fängt man also Gedanken, dachte ich, aber wie wird man sie wieder los?
Du wickelst die Geschäfte ab. Der Kaffee ist heiß, stark und frisch. Und irgendetwas erwartet dich auch heute. Taktlosigkeit und die niemals wegzuredende Hilflosigkeit dem Tod gegenüber. Unsere Welt aus Glas. Zwischen Blick und Blick nur Glas. Unsichtbarer Abstand. Ab und zu ein Wort, ein Gedicht, das uns gefährlich nahe kommt, uns aus dem Gleichgewicht bringt.
Ich mag keine Gedichte sagen und meinen: ich kann ohne Gedichte nicht leben.
Als würde es etwas bedeuten, dass alles archiviert wird.
Mein Leben liegt in einem hölzernen Kasten, in dem meine Mutter ihre Erinnerungen aufbewahrt.
Sie hat Sand zum Meer getragen. Nicht irgendeinen Sand. Korn für Korn hat sie sorgfältig ausgesucht. In jedem Korn liegt ein Wunsch, eine Erinnerung. Ein Schweigen, das sie gebrochen hat. Und ein Schweigen, das sie gebrochen hat. Sie glaubt an die Verwandlung. Sie glaubt an Erlösung. Sie hält das Korn zwischen den Fingerspitzen.
Die Wellen sind die Antwort. Der Schrei der Möwen, der Wind.
Aber sie ist nicht die Frage.
Im Wasser werden sich die Sandkörner finden, um sich zu einem Spiegel zu verbinden. Das Meer ist voller Spiegel, in denen man alles erkennt und nichts sieht. Unterbrochene Kreisläufe, die sich dank der Unterbrechung endlich schließen können.
„Du siehst nicht genau genug hin. Dir fehlt die Geduld, um für ein Verständnis zu kämpfen.“ Wer hatte ihr das vorgeworfen, oder war sie selbst diejenige, die sich das vorwarf? Spielt das eine Rolle? Loslassen bedeutet den Schmerz so lange gewähren zu lassen, bis er seine Lektion beendet hat.
Sie öffnet die Hände und überlässt den Sand sich selbst.
Sie tritt hinter eine seltsam geformte Landschaft zurück. Ein Schattenbild in einer mondlosen Nacht. Das Meer redet für sie beide. Die Möwen lachen. Nichts ist, wie es sein sollte. Auf den Liegestühlen liegt Schnee. Die Matrosen verweigern den Landgang. Sie ist das Urbild des Wartens. Zeit liegt um sie herum.
Alles ändert sich. Selbst du. Selbst dein Denken, dem an allen möglichen Stellen die Enden abgeschnitten werden. Etwas richtet sich auf, du selbst aber bleibst liegen. Tödlich getroffen, weil dir keiner schenkt, was du dir selbst nicht geben kannst.
Die Zeit, hat man dir früher erzählt, heilt alle Wunden. Dass sie es tut, indem sie neue reißt, macht den Satz nicht zu einer Lüge. Dreh dich nicht um. Was hinter dir liegt, holst du nie mehr ein.
Wir sind aus Verlusten gemacht. Wir trennen uns, um einander wiederzufinden, als Falte in einem fremden Gesicht, als ein Blick, der sich senkt.
Von draußen wehen merkwürdige Geräusche herein, unterbrechen die Gedankengänge, schicken sie auf Abwege. Etwas stürzt ein, etwas ist versperrt und mit einem Lächeln setzt du dich darüber hinweg und lässt der Vorstellung den Vortritt.
Was sagst du, wenn dich einer fragt, ob du mit ihm gehst?
Fragst du ihn, was gehen für ihn bedeutet, ob er dich meint, oder nur eine Verdoppelung der Schritte?
Bleibst du stehen und sagst: „Ich möchte eine Wolke sein. Wenn du mich verstehst, werden wir schweben. Für einen Moment, der nie vergeht.“
Oder gehst du ihm nach, passt deine Schritte und Fragen an, um nicht länger allein zu sein? Lässt du es zu, dass er dir Namen gibt, die nicht zu dir passen, nur damit da ein Geräusch ist, das die Einsamkeit unterbricht?
Weil du das Gewicht deiner Gedanken loswerden willst, eintauschen gegen die Schwere eines Körpers, der auf deinem liegt, dessen Schweiß du schmeckst, dessen Berührungen dich vergessen lassen, dass nichts weitergeht, solange du Fragen stellst, ohne dem Zweifel Brücken zu bauen.