Spinnen
Wir ziehen uns zurück. Wir nehmen auf und teilen aus. Das Strickmuster des Netzes und die Wolle mit der gestrickt wird.
Ich bin ein Traum, dem die Augen zufallen.
Zwei gleiche Enden, die gegeneinander arbeiten. Einer strickt, ein anderer trennt auf. Beides bin ich.
Ich lebe in einem Rahmen mit verblassender Farbe und dennoch spinne ich täglich Stroh zu Gold. Ich stellte mich blind für ihre tauben Ohren, dann schritt ich aus.
Man verliert sich in laufenden Geschäften, bläst sich auf, lässt Luft ab und zurück bleibt etwas Fahles, Faltiges. Man denkt sich eine Krankheit aus, ein Gebrechen hinter dem man sich versteckt, das man zur Schau tragen und bemitleiden lassen kann, während der Kern unberührt bleibt. Niemand gerät in Versuchung danach zu fragen, länger als unbedingt notwendig die Augen in anderen Augen versinken zu lassen, einem Blick standzuhalten, in dem man sowieso nichts zu sehen bekommt, außer nur immer wieder sich selbst.
Ich stolperte über meine Hände. Immer wieder standen meine Gedanken im Weg. Was wollen Sie, fragte ich den Mann in der Tür. Ich konnte meine Sprache nicht mehr verstehen und so ist es nicht sicher, was ich wirklich sagte.
Ich hatte die Wände des Gebäudes längst gestrichen, dann erst fing ich an, sie zu errichten.
Ich habe nie diese Klarheit gehabt, die man benötigt, um schreiben zu können. Nicht einmal meine Angst ist klar und fassbar, oder meine Scham. Alles wird zugedeckt durch den Rückzug, nicht in mich selbst, nirgendwohin, auch nicht in die Vergangenheit, nur weg von allem, was mich berühren könnte, was eine Meinung erfordert, eine Haltung, eine Position.
Ich habe nie eine eigene Sexualität gehabt. Kein Verlangen, aber auch kein eindeutiges Nichtverlangen. Nur Angst und das Gefühl, das alles habe nichts mit mir zu tun. Ich habe nichts mit mir zu tun.
Dass es schwierig ist, ist kein Grund. Es gibt keine Gründe. Keine Begründungen. Alles geschieht grundlos. Dieses Fehlen jeglicher Art von Begündung, ist der Boden auf dem sie sich seit jeher bewegt. Eine Zeitlang hat es ihr gefallen, sie fand es aufregend, nichts war vorhersehbar, auch nicht im Nachhinein. Dann machte es ihr Angst. Jetzt ist sie nur noch müde. Sie weiß diese Müdigkeit noch nicht zu schätzen. Die Ruhe, die daraus erwachsen könnte.
Es wird schwierig. Sie hat ihren Blick verloren. Sie kann nur noch durch die Augen der anderen sehen. Aber sie vermisst ihn noch. Den eigenen Blick. Ihr Blick liegt dazwischen: zwischen dem allgemeingültigem Blick der anderen und dem grauenhaft einsichtigen Blick auf sich selbst. Das ist der tote Winkel. Sie kann nichts erkennen. Sie weiß, dass es so nicht bleiben wird. Wovor hat sie Angst? Sie sagt vor den Fragen habe sie keine Angst, aber sie fürchtet die Antworten, die sie zerbrechen, wenn sie bemerken, sie ist aus Glas.
Sie fragt sich, was andere in ihr sehen. Wie viel das mit der zu tun hat, die sie ist. Ob sie, wenn sie aufgeben würde, sich zu behaupten, nur noch die wäre, die andere sich unter ihr vorstellen, oder ob sie nicht vielmehr ganz verschwinden würde. Ob sie ein Hohlraum ist, in den jedermann Wunschzettel werfen kann, bis sie zerbirst.
Manchmal weiß sie es nicht mehr. Manchmal weiß sie nicht mehr, was sie gelesen, woran sie geglaubt hat. Manchmal kennt sie die Einzelheiten nicht wieder aus denen sie besteht. Sie hat nichts mit sich zu tun. Sie beobachtet sich. Das Unzusammenhängende. Sie wartet. Sie weiß bereits worauf. Sie zögert noch, es auszusprechen. Sie glaubt noch an eine Lösung, glaubt, alles könne sich wieder auflösen, frei schwebende Teilchen, die jedes Recht haben, sich so zusammen zu setzen, wie es ihnen gefällt. Manchmal kann sie noch daran glauben. Es ist nicht viel. Es genügt.
Sie traut sich nichts zu. Ihre Hand zittert. Ihre einstmals schöne Handschrift ist kaum mehr leserlich. Sie schweigt. Aber sie hört nicht zu. Weder den Stimmen in ihrem Inneren, die versuchen sie aufzurichten, noch denen der anderen, die unablässig von einer Zukunft sprechen, die es für sie nicht gibt.
Wenn jemand den richtigen Ton der Vergangenheit treffen würde, könnte sie ihm vertrauen. Vielleicht.
Ihr Geruch hat sich verändert. Sie riecht süßlich. Schon ein bisschen nach Tod.
Sie sieht sich selbst beim Sterben zu.
Dann verläßt sie den Traum mit dem Spiegel, kleidet sich an, geht zum Fenster. Was sie dort sieht, sagt ihr nichts. Eine junge Frau in einem rotgetupften Kleid führt ihren Hund spazieren. Der Briefträger steigt vom Rad, ein paar alte Damen in ihrem Alter finden kein Ende beim Händeschütteln, der Verkehr schwillt an, ebbt ab. Am Himmel ballen sich Wolken zusammen.
Das alles hat nichts mit ihr zu tun. Sie schließt das Fenster, dreht sich um. Dieser Raum ist fast leer. Die Wände kahl und weiß. Ein Tisch, ein Stuhl, ein Regal. Die Tür hat sie schwarz gestrichen. Der Fußboden ist aus dunklem Holz. Sie hat viel mehr Räume als sie braucht in diesem Haus. Sie kann es sich leisten, jeden Raum so sparsam einzurichten. Fast karg. So wie ihre Jahre jetzt sind. Seit einiger Zeit. Erfüllt von einer Leere. von der Beobachtung ihres sterbenden Körpers.