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Juni 2011
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wie ich lernte zu mir zu stehen (und wer mir dabei half)

Warum nur fällt es mir so viel schwerer, mit Männern zu reden, als mit Frauen. Zum Teil liegt es ganz sicher auch an mir. Aber an welchem Teil von mir?
nachtrag um 19.29 h: es handelt sich jedenfalls um keine gender frage, soviel ist klar, weshalb ich den titel jetzt ändern muss.
MelusineB - 25. Jun, 16:08

Es stimmt zwar (nach dem Augenschein)

dass der Herr Schlinkert ein Mann ist, jedoch ist er ein sehr spezieller Mann. Das Reden (oder dialogische Schreiben) mit ihm ist für Sie und andere schwierig, aber nicht oder mindestens nicht nur, weil er ein Mann ist, sondern, glaube ich, weil er ein Mann mit sehr festen (pseudo?-ästhetischen) Überzeugungen, wenig Humor (vor allem Lachen über sich selbst) und einem recht stereotypen Geschlechterrollenverständnis ist, das er aber für intellektuell ausgereift hält (alles andere ist überflüssiges "Gender-Gerede"). Dazu kommt noch ein recycelter Kulturpessimismus, der überall Niedergang wittert und peinlich auf eine genaue Trennung von E- und U-Kunst/Literatur/Musik achtet. (Schauen Sie mal bei Alea Torik).

Ich kenne persönlich mindestens zwei Idioten, die regelmäßig Pynchon lesen. Im Gegenzug kenne ich mindestens drei Personen, die schon mal oder auch mal wieder Schnulzen hören oder Vampyr-Romane lesen und die ich für überaus differenzierte und sensible Personen halte.

By the way - ich hab´auch für Morrissey geschwärmt. Sogar ein bisschen länger. Enorme Bühnenpräsenz! Und diese Augen. Aber letztlich war es dann doch immer und immer und immer Grant McLennan.

Weberin - 25. Jun, 16:14

Danke für den weiblichen Beistand

das stärkt mein gerade etwas angeschlagenes selbstbewußtsein, melusine, dass sie den herrn hier gemäß ihrer sichtweise differenziert darstellen. trotzdem denke ich, dass ich dem entweder standhalten, oder mich erst gar nicht an solchen dingen beteiligen sollte, beleidigend zu werden ist jedenfalls deutlich unter meinem niveau und da muss schon etwas passiert sein, dass es mir dennoch gerade widerfahren ist.
von einer (gar strikten) trennung zwischen e- und u- kunst halte ich gar nichts. mein mann z.b. liest sämtlich nur bücher, derer ich mich schämen würde, dennoch ist er ein hervorragender gesprächspartner und sehr differenziert, überlegt und sensibel.

morrissey höre ich immer noch ab und an. grant mclennan werde ich mir gleich ergoogeln.
phyllis - 25. Jun, 20:38

Auch ich möchte,

obwohl es nun in dieser Kommentarfolge schon mehrfach gesagt wurde, auch noch kundtun, dass ich Ihre Präsenz und Ihre Beiträge unter meinem Text sehr wichtig fand heute. (Natürlich nicht nur heute! ; )
Nur, was das "Aussteigen" und einen vielleicht richtigen oder falschen Moment dafür betrifft, bin ich ein wenig anderer Meinung als Ihre anderen Kommentator:innen. Natürlich - hat eine keine Lust mehr, ist das völlig okay. Doch wegnehmen lassen sollte sie sich die nicht, die Lust. Finde ich.
Das ist natürlich Wunschdenken. Ich geh' auch lieber dahin, wo es friedlich ist. Ziehe mich aus Diskussionen zurück, in denen mir der Ton zu laut wird. Und habe schon oft gedacht, auch geschrieben, wie sehr ich es bedaure, wenn die behutsamen Stimmen übertönt werden von den dominanten. Die nun mal oft Männern gehören. Insofern ist das für mich durchaus ein Gender-Thema. Und eines, das mich persönlich betrifft. Denn ich kann ganz schlecht streiten. Und wenn ich schon streite, dann soll's mit den "Richtigen" sein, jenen, die nie den Respekt verlieren, die zwischendurch auch mal lachen sogar, die mir bei aller momentaner Dissonanz immer das Gefühl geben, dass es ein grundsätzliches Einverständnis gegenseitigen Wohlwollens gibt.
Nur - wie sehr müsste man die eigene Arena manipulieren, damit nur noch diejenigen übrig bleiben, die eines Streits unter solchen idealen Bedingungen würdig sind?
Das frage ich mich.
Und, da der Name nun hier schon fiel: Ich kenne Norbert Schlinkert. Noch nicht lange, aber immerhin. Er ist im persönlichen Umgang überhaupt nicht so belehrend und pessimistisch, wie sein Schreiben manchmal suggeriert. Ich mag den Mann.
Sie haben hier mit Ihrem Netz einen Ort, der von Irritationen dieser Art bislang unbeschattet war. Franny Glass bedauert, dass sich das heute anders darstellt. Versteh' ich. Aber für mich war es ein besonderer Moment, eben hierher zu kommen und zu merken, da beschäftigt Sie eine Frage, die ich verdammt gut kenne.
Weberin - 25. Jun, 20:49

Ich finde es äußerst lehrsam

diese kleinen Ausschreitungen (vielleicht etwas übertrieben, aber meiner kleinen, stillen Welt ist dieser Begriff dennoch angemessen), sowohl meinerseits als auch von anderer Seite. Ja, ich habe große Schwierigkeiten mit Herrn Schlinkert. Aber deswegen werde ich mich selbstverständlich nicht abhalten lassen, bei Ihnen zu schreiben, wenn mir danach ist, wenn ich das Gefühl habe, etwas zu sagen zu haben, wenn ich Fragen habe. Wissen Sie, was mich befremdet, bei diesem Herrn ist eine, von mir so empfundene, übergriffe Art. Ich spüre keine Neugier. Ich fühle nur ein sehr festes und umumstößliches Weltbild, das wenig Raum für anderes lässt. Damit konnte ich noch nie gut umgehen, aber ich lerne es auszuhalten. Immerhin.
Danke für Ihre Rückmeldung, Phyllis.
phyllis - 25. Jun, 21:09

Neugier!

Das sagen Sie etwas ungeheuer wichtiges. Ich habe gelegentlich bei Streitgesprächen den Eindruck, da haben welche so sehr für ihre Standpunkte gekämpft, gegen die eigene Unsicherheit, die Möglichkeit des Versagens, des Beiseitegeschobenwerdens, dass sie, sobald sie einmal genug nennenswertes Wissen angesammelt haben, davon einfach nicht mehr weichen können: sie sitzen auf ihrer (endlich!) definierten, durchaus manchmal sehr großen Parzelle und sind viel zu erschöpft, um noch neugierig zu sein. Mit solchen Menschen lässt sich's schlecht streiten. Die haben das sich beweisen müssen so verinnerlicht, dass sie es gar nicht mehr als solches wahrnehmen, selbst wenn sie's ständig praktizieren.
Auf die Neugier, liebe Weberin.
syra_stein - 25. Jun, 21:41

@die Neugier....

Neugierig vor dem Klavier sitzen, das allererste Mal eine dieser weißen Tasten drücken... die Tonhöhe, die Klangfärbung... und das unabänderliche Verklingen dieses Tons, werde ich danach nie wieder genau s o hören. Diese Neu:gier... ist's übrigens, die mich hier immer wieder lesen läßt.
Weberin - 25. Jun, 21:43

Neugier

das ist sehr schön, syra. danke.
vielleicht ist neugier eher eine eigenschaft von frauen, oder sie handhaben sie nur anders. sanfter.
MelusineB - 25. Jun, 22:47

Dem Miss-Verstehen nachdenkend,

das sich offenbar abgespielt hat, gebe ich Phyllis recht und glaube, dass ich mich irrte. Wie das zustande kam, das hat mit der Kategorie Geschlecht zu tun. Mit Sprechweisen. Ich halte sie nicht für genetisch bedingt, sondern für kulturell. Das heißt aber nicht, dass wir über sie verfügen. Sie sind so sehr Teil unseres Selbst- und Fremdverstehens wie unsere Körper. Apodiktische Setzungen. Beinahe zwanghaftes Sich-selbst-in-Fragestellen. Behauptungswillen. Abbruch. Geschlechtsneutral lief das nicht. Hat Herr Schlinkert nicht selbst kürzlich festgestellt, dass Sätze anders klingen, je nachdem, ob man sie einer (fiktiven) Frau oder einem (fiktiven) Mann in den Mund legt? Betrachten Sie Ihrer beider "Auseinandersetzung" einmal probeweise so; ein interessantes Experiment. Nora (Schlinkert): "Störender Quatsch, Herr Weber, ist alles, was Kinder tun, wenn es auf irgendeine Art und Weise andere stört." Herr Weber: "Nachdem ich nun gelesen habe, wie Sie Quatsch definieren, verzichte ich auch gerne auf weitere Fragen." usw.
Weberin - 26. Jun, 08:45

Noch ein Beweis

für mein Feststecken in der von mir selbst bis vor kurzem gar nicht wahrgenommenen Genderrolle ist die Tatsache, dass ich den Titel geändert habe. Genau wie Sie es beschreiben, Melusine, dieses beinah zwanghafte Sich-selbt-in-Fragestellen versus den männlichen Behauptungswillen und dann den Abbruch, wieder weiblich, wieder ich. Ein Beweis dafür, wie wenig ich über mich selbst verfüge, wie sehr ich in einer Geschlechtsrolle stecke.
Und was Ihr Experiment angeht, seltsamerweise lese ich den vermännlichten Dialog sehr viel neutraler, nüchterner als er mir als er zwischen den Geschlechtern stattfindend ablief, vorgekommen ist. Liegt das nun an dem Abstand, an der inzwischen stattgefundenen Reflektion, oder tatsächlich daran, dass zwei Männer miteinander zu sprechen scheinen? Eine sehr interessante Frage.
Weberin - 28. Jun, 10:06

Und kennen Sie Scout Niblett?
Phorkyas - 2. Jul, 19:07

Liebe Weberin,

noch suche ich die rechte Art wie ein armer Teufel wie ich sich tief genug verneigte vor Ihrer Bescheidenheit. - Ja, Ihr Auftreten ist mir so angenehm, dass ich schon anfange mich für meine doofen Intellektualismen, mein leeres Geplapper zu hassen.

Fast ein Mann.
Stanislaus (Gast) - 25. Jun, 16:09

Ein Rat

das ist keine gender frage, das ist eine frage der streitlust. außerdem eine frage des intelektuellen hintergrundes. wer sich auf das unbewusste beruft, kann bei theoretisch fundierten diskussionen naturgemäß nicht mithalten. mein rat: halten sie sich da lieber heraus, weberin.

Weberin - 25. Jun, 16:15

Ratschläge

Danke für ihren Rat, der so verkehrt vermutlich nicht ist.
es gibt Wichtigeres, als mit Männern zu streiten.
Weberin - 2. Jul, 19:22

Phorkyas

ich fühle mich ein wenig auf den arm genommen von ihrem kommentar. aber ich kenne sie ja gar nicht. also was soll ich tun: den kommentar sprachlos und allein dort stehen lassen? oder sie fragen, was sie damit meinen? vielleicht wäre es eleganter, ihn stehen zu lassen. unerwidert. ich fürchte allerdings, dass ich eher neugierig bin, als elegant.
Phorkyas - 2. Jul, 19:45

Nein, er ist völlig ernst gemeint.

(Zur Erläuterung: im tatsächlichen Leben bin ich vermutlich noch defensiver als mein digitaler Ego - Ach, irgendwie sind mir einfach Leute lieber, die.. sich nicht so aufblähen und Raum für sich beanspruchen.. es sollte hier doch Platz für alle sein, auch die leisen, aber es wird doch so viel GESCHRIEEN.. und ab und zu höre ich auch mein kleines fürchterliches ICH, wie es sich groß tun will und sein Können und seine geistige Macht demonstrieren will oder den Respekt oder die Achtung fordert, den man ihm doch zollen müsste..
Aber über so etwas wollte ich gar nicht schreiben und daher ist oben diese wohl irritierende Wortmeldung herausgekommen. Tut mir leid.)
Weberin - 2. Jul, 19:55

Dank für die Erläuterung

Das ist aber schön, dass Sie darüber geschrieben haben. Darüber freue ich mich.
Dieses Aufblähen gibt es vielerorts hier im Netz. Das Netz ist vermutlich ein Ort, der nicht nur dazu verleitet, sondern eben zuallererst diejenigen Menschen anzieht, die gerne schreien. Aber es gibt auch die Nischen und Menschen, die sich wohlfühlen in diesen Nischen.
Und ich glaube Ihnen einfach nicht, das Ihr ICH so fürchterlich ist. Respekt einzufordern ist nicht nur legetim sondern gewissermaßen Pflicht jedes zivilisierten Menschen.
Ich danke Ihnen für Ihre zweite Rückmeldung, mit der ich weitaus mehr anfangen kann als mit der ersten und grüße Sie herzlich
Weberin
Sturznest - 25. Jun, 16:23

Mit mir ist es ganz leicht, ich bin doch immer im Recht, da braucht man gar nicht streiten :-)

Stanislaus (Gast) - 25. Jun, 17:03

das ist bei mir genauso. scheint ein privileg von uns männern zu sein.
(sie sind doch ein mann, oder?)
Sturznest - 25. Jun, 17:06

Ich fürchte ja
Pippi Langstrumpf (Gast) - 25. Jun, 18:07

Selbst schuld

Wer den Männern die Definitionsmacht gibt, darf sich hinterher nicht beschweren, dass man(n) sie niederredet.

FrannyGlass - 25. Jun, 18:25

ich finde es schade,

dass Sie dieses schöne, literarisch fein gesponnene Netz derartigen Diskussionen aussetzen.

Kienspan - 25. Jun, 18:33

Mitnichten

handelt es sich dabei um eine Genderfrage. Es gibt auch nicht den geringsten sachlichen Grund für eine Beschädigung des Selbstbewusstseins, ganz im Gegenteil. Einem unsachlichen Streit aus dem Weg zu gehen, erfordert ein gut gefestigtes Selbstbewusstsein. Zwei Kommentare früher aus dem Gespräch auszusteigen, wäre vielleicht besser gewesen. Das heißt aber nicht, dass Sie den Ausgang nicht gefunden hätten, durch den Sie in ungebeugter Haltung hindurch schreiten konnten. Also: Kopf hoch, Bauch rein und Brust heraus, liebe Weberin!

Weberin - 25. Jun, 18:56

Früher aussteigen

da haben Sie recht, Kienspan, ich hätte früher aussteigen sollen, die seite war schon richtig. aber ich habe den richtigen zeitpunkt verpasst.
peinlich, dass ich dann auch noch von gender rede, dabei ist es ein ganz und gar persönliches problem.
gar nicht so leicht zu sich zu stehen, wenn man fehler macht.
Sturznest - 25. Jun, 19:06

Das ist ein völlig überflüssiger Thread, dnen Du hast alles richtig gemacht.
Kinder sind tausend mal klüger als solche "Intellektuellen" über die doch kein Mensch auch nur ein Wort verlieren würde, wenn es das Internet nicht gäbe und damit die Möglichkeit, sich eine Welt zu formen, die nur die wahrnehmen die sie installieren.
Kein Mensch interessiert sich für sein Geschwätz über Beckett, keiner will von dem wissen was Literatur ist und schon niemand möchte seine Meinung über Kinder wissen, aber er gibt sie eben ab, aber immer nur dort wo er beklatscht wird, wo er als großer Autor gilt.
Das ist eben das Netz und am Ende ist es nichts anderes als dass was E.T.A Hoffmann schon vor Jahren mit Klein Zaches gechrieben hat, das ganze Netz steckt voller klein Zachese...und mich möchte ich da gar nicht ausschliessen, ich stehe da an vorderster Front, aber Du hast nichts, aber auch gar nichts falsch gemacht
Weberin - 25. Jun, 19:29

Danke

das ist eine sehr schöne antwort. und ich würde schreiben, dass ich es nicht mag, wenn menschen ausgeschlossen werden, wenn man sich negativ äußert, und das auf eine sehr generelle art, aber ich kann das in diesem fall nicht guten gewissens schreiben, weil ich mich erinnern kann, an vorfälle, wo die diskussionen, an denen auch du beteiligt warst, sehr unterhalb der gürtellinie abliefen. und auch wenn ich mich nicht auf das niveau solcher leute begeben möchte, muss einer der so "argumentiert" damit leben, dass er ähnlich behandelt wird.
e.t.a. hoffmann ist eine meiner gr0ßen lücken. den habe ich tatsächlich noch nicht gelesen
Kienspan - 25. Jun, 19:48

Erlauben Sie mir bitte noch eine Anmerkung,

liebe Weberin: Sie haben nicht den "richtigen" Zeitpunkt verpasst, sondern den frühest angemessenen. Der von Ihnen gewählte war vielleicht nicht der beste. Richtig war er allemal. Daher ist auch die Selbstsuggestion mit dem "Fehler" nicht angebracht.
Dass Sie den Beitragstitel geändert haben, kann ich gut nachvollziehen. Dennoch lasse ich Ihnen aber eine (wohlwollend und nicht auf Sie persönlich fokussierte) kritische, allerdings auch rhetorische Frage da: Ist es eine Gender-Frage, dass der Vorfall ursprünglich zur "Gender-Frage" wurde?
Weberin - 25. Jun, 19:59

Spitzfindig

Kienspan, diese Frage, ob diese persönliche Bewertung nicht am Ende doch Gender ist.
Ich fürchte sogar, Sie könnten Recht haben.
Ich hatte eine Freundin, die sich sehr ausführlich mit dieser Gender Frage auseiandergesetzt hat und ich konnte ihr nie recht folgen, sowohl aufgrund der fehlenden Grundlagen, die sie hatte, ich aber nicht, als auch aufgrund der Bedeutung, die sie dem ganzen zugemessen hat und die ich ebenso wenig nachvollziehen konnte. Ich dachte immer, die Emanzipation ist ohnehin erst dann erreicht, wenn wir nicht mehr nach weiblichen und männlichen Aussagen, Handlungsmustern etc. unterscheiden. An dieser Meinung halte ich weiterhin fest, allerdings muss ich zugestehen und einsehen, dass ich offenbar noch nicht so weit bin. Ich benehme mich noch durchaus weiblich. Was nicht zu verurteilen ist, aber wahrzunehmen und zu berücksichtigen ist es allemal.
Danke für ein kleines Stück Augenöffnen.
Sturznest - 25. Jun, 19:37

das war doch die diskussion in der ich den satz völlig falsch gelesen habe, ja das war eine meiner großen heldentaten, im negativen sinne...

Sturznest - 25. Jun, 19:40

E.T.A Hoffmann...Klein Zaches

Unfern eines anmutigen Dorfes, hart am Wege, lag auf dem von der Sonnenglut erhitzten Boden hingestreckt ein armes zerlumptes Bauerweib. Vom Hunger gequält, vor Durst lechzend, ganz verschmachtet, war die Unglückliche unter der Last des im Korbe hoch aufgetürmten dürren Holzes, das sie im Walde unter den Bäumen und Sträuchern mühsam aufgelesen, niedergesunken, und da sie kaum zu atmen vermochte, glaubte sie nicht anders, als daß sie nun wohl sterben, so sich aber ihr trostloses Elend auf einmal enden werde. Doch gewann sie bald so viel Kraft, die Stricke, womit sie den Holzkorb auf ihrem Rücken befestigt, loszunesteln und sich langsam heraufzuschieben auf einen Grasfleck, der gerade in der Nähe stand. Da brach sie nun aus in laute Klagen: »Muß,« jammerte sie, »muß mich und meinen armen Mann allein denn alle Not und alles Elend treffen? Sind wir denn nicht im ganzen Dorfe die einzigen, die aller Arbeit, alles sauer vergessenen Schweißes ungeachtet in steter Armut bleiben und kaum so viel erwerben, um unsern Hunger zu stillen? – Vor drei Jahren, als mein Mann beim Umgraben unseres Gartens die Goldstücke in der Erde fand, ja, da glaubten wir, das Glück sei endlich eingekehrt bei uns und nun kämen die guten Tage; aber was geschah! – Diebe stahlen das Geld, Haus und Scheune brannten uns über dem Kopfe weg, das Getreide auf dem Acker zerschlug der Hagel, und um das Maß unseres Herzeleids vollzumachen bis über den Rand, strafte uns der Himmel noch mit diesem kleinen Wechselbalg, den ich zu Schand' und Spott des ganzen Dorfs gebar. – Zu St.-Laurenztag ist nun der Junge drittehalb Jahre gewesen und kann auf seinen Spinnenbeinchen nicht stehen, nicht gehen und knurrt und miaut, statt zu reden, wie eine Katze. Und dabei frißt die unselige Mißgeburt wie der stärkste Knabe von wenigstens acht Jahren, ohne daß es ihm im mindesten was anschlägt. Gott erbarme sich über ihn und über uns, daß wir den Jungen großfüttern müssen uns selbst zur Qual und größerer Not; denn essen und trinken immer mehr und mehr wird der kleine Däumling wohl, aber arbeiten sein Lebetage nicht! Nein, nein, das ist mehr als ein Mensch aushalten kann auf dieser Erde! – Ach könnt' ich nur sterben – nur sterben!« Und damit fing die Arme an zu weinen und zu schluchzen, bis sie endlich, vom Schmerz übermannt, ganz entkräftet einschlief. -

Mit Recht konnte das Weib über den abscheulichen Wechselbalg klagen, den sie vor drittehalb Jahren geboren. Das, was man auf den ersten Blick sehr gut für ein seltsam verknorpeltes Stückchen Holz hätte ansehen können, war nämlich ein kaum zwei Spannen hoher, mißgestalteter Junge, der von dem Korbe, wo er querüber gelegen, heruntergekrochen, sich jetzt knurrend im Grase wälzte. Der Kopf stak dem Dinge tief zwischen den Schultern, die Stelle des Rückens vertrat ein kürbisähnlicher Auswuchs, und gleich unter der Brust hingen die haselgertdünnen Beinchen herab, daß der Junge aussah wie ein gespalteter Rettich. Vom Gesicht konnte ein stumpfes Auge nicht viel entdecken, schärfer hinblickend, wurde man aber wohl die lange spitze Nase, die aus schwarzen struppigen Haaren hervorstarrte, und ein Paar kleine, schwarz funkelnde Äuglein gewahr, die, zumal bei den übrigens ganz alten, eingefurchten Zügen des Gesichts, ein klein Alräunchen kundzutun schienen. -

Als nun, wie gesagt, das Weib über ihren Gram in tiefen Schlaf gesunken war und ihr Söhnlein sich dicht an sie herangewälzt hatte, begab es sich, daß das Fräulein von Rosenschön, Dame des nahegelegenen Stifts, von einem Spaziergange heimkehrend, des Weges daherwandelte. Sie blieb stehen und wurde, da sie von Natur fromm und mitleidig, bei dem Anblick des Elends, der sich ihr darbot, sehr gerührt. »O du gerechter Himmel,« fing sie an, »wieviel Jammer und Not gibt es doch auf dieser Erde! – Das unglückliche Weib! – Ich weiß, daß sie kaum das liebe Leben hat, da arbeitet sie über ihre Kräfte und ist vor Hunger und Kummer hingesunken! – Wie fühle ich jetzt erst recht empfindlich meine Armut und Ohnmacht! Ach, könnt' ich doch nur helfen, wie ich wollte! – Doch das, was mir noch übrig blieb, die wenigen Gaben, die das feindselige Verhängnis mir nicht zu rauben, nicht zu zerstören vermochte, die mir noch zu Gebote stehen, die will ich kräftig und getreu nützen, um dem Leidwesen zu steuern. Geld, hätte ich auch darüber zu gebieten, würde dir gar nichts helfen, arme Frau, sondern deinen Zustand vielleicht noch gar verschlimmern. Dir und deinem Mann, euch beiden ist nun einmal Reichtum nicht beschert, und wem Reichtum nicht beschert ist, dem verschwinden die Goldstücke aus der Tasche, er weiß selbst nicht wie, er hat davon nichts als großen Verdruß und wird, je mehr Geld ihm zuströmt, nur desto ärmer. Aber ich weiß es, mehr als alle Armut, als alle Not, nagt an deinem Herzen, daß du jenes kleine Untierchen gebarst, das sich wie eine böse unheimliche Last an dich hängt, die du durch das Leben tragen mußt. – Groß – schön – stark – verständig, ja, das alles kann der Junge nun einmal nicht werden, aber es ist ihm vielleicht noch auf andere Weise zu helfen.« – Damit setzte sich das Fräulein nieder ins Gras und nahm den Kleinen auf den Schoß. Das böse Alräunchen sträubte und spreizte sich, knurrte und wollte das Fräulein in den Finger beißen, die sprach aber: »Ruhig, ruhig, kleiner Maikäfer!« und strich leise und linde mit der flachen Hand ihm über den Kopf von der Stirn herüber bis in den Nacken. Allmählich glättete sich während des Streichelns das struppige Haar des Kleinen aus, bis es gescheitelt, an der Stirne fest anliegend, in hübschen weichen Locken hinabwallte auf die hohen Schultern und den Kürbisrücken. Der Kleine war immer ruhiger geworden und endlich fest eingeschlafen. Da legte ihn das Fräulein Rosenschön behutsam dicht neben der Mutter hin ins Gras, besprengte diese mit einem geistigen Wasser aus dem Riechfläschchen, das sie aus der Tasche gezogen, und entfernte sich dann schnellen Schrittes.

Als die Frau bald darauf erwachte, fühlte sie sich auf wunderbare Weise erquickt und gestärkt. Es war ihr, als habe sie eine tüchtige Mahlzeit gehalten und einen guten Schluck Wein getrunken. »Ei,« rief sie aus, »wie ist mir doch in dem bißchen Schlaf so viel Trost, so viel Munterkeit gekommen! – Aber die Sonne ist schon bald herab hinter den Bergen, nun fort nach Hause!« – Damit wollte sie den Korb aufpacken, vermißte aber, als sie hineinsah, den Kleinen, der in demselben Augenblick sich aus dem Grase aufrichtete und weinerlich quäkte. Als nun die Mutter sich nach ihm umschaute, schlug sie vor Erstaunen die Hände zusammen und rief – »Zaches – Klein Zaches, wer hat dir denn unterdessen die Haare so schön gekämmt! – Zaches – Klein Zaches, wie hübsch würden dir die Locken kleiden, wenn du nicht solch ein abscheulich garstiger Junge wärst! – Nun, komm nur, komm! – hinein in den Korb!« Sie wollte ihn fassen und quer über das Holz legen, da strampelte aber Klein Zaches mit den Beinen, grinste die Mutter an und miaute sehr vernehmlich: »Ich mag nicht!« – »Zaches! – Klein Zaches!« schrie die Frau ganz außer sich, »wer hat dich denn unterdessen reden gelehrt? Nun! wenn du solch schön gekämmte Haare hast, wenn du so artig redest, so wirst du auch wohl laufen können.« Die Frau huckte den Korb auf den Rücken, Klein Zaches hing sich an ihre Schürze, und so ging es fort nach dem Dorfe.

Sie mußten bei dem Pfarrhause vorüber, da begab es sich, daß der Pfarrer mit seinem jüngsten Knaben, einem bildschönen goldlockigen Jungen von drei Jahren, in seiner Haustüre stand. Als der nun die Frau mit dem schweren Holzkorbe und mit Klein Zaches, der an ihrer Schürze baumelte, daherkommen sah, rief er ihr entgegen: »Guten Abend, Frau Liese, wie geht es Euch – Ihr habt ja eine gar zu schwere Bürde geladen, Ihr könnt ja kaum mehr fort, kommt her, ruht Euch ein wenig aus auf dieser Bank vor meiner Türe, meine Magd soll Euch einen frischen Trunk reichen!« – Frau Liese ließ sich das nicht zweimal sagen, sie setzte ihren Korb ab und wollte eben den Mund öffnen, um dem ehrwürdigen Herrn all ihren Jammer, ihre Not zu klagen, als Klein Zaches bei der raschen Wendung der Mutter das Gleichgewicht verlor und dem Pfarrer vor die Füße flog. Der bückte sich rasch nieder und hob den Kleinen auf, indem er sprach: »Ei, Frau Liese, Frau Liese, was habt Ihr da für einen bildschönen allerliebsten Knaben! Das ist ja ein wahrer Segen des Himmels, ein solch wunderbar schönes Kind zu besitzen.« Und damit nahm er den Kleinen in die Arme und liebkoste ihn und schien es gar nicht zu bemerken, daß der unartige Däumling gar häßlich knurrte und mauzte und den ehrwürdigen Herrn sogar in die Nase beißen wollte. Aber Frau Liese stand ganz verblüfft vor dem Geistlichen und schaute ihn an mit aufgerissenen starren Augen und wußte gar nicht, was sie denken sollte. »Ach, lieber Herr Pfarrer,« begann sie endlich mit weinerlicher Stimme, »ein Mann Gottes, wie Sie, treibt doch wohl nicht seinen Spott mit einem armen unglücklichen Weibe, das der Himmel, mag er selbst wissen warum, mit diesem abscheulichen Wechselbalge gestraft hat!« »Was spricht,« erwiderte der Geistliche sehr ernst, »was spricht Sie da für tolles Zeug, liebe Frau! von Spott – Wechselbalg – Strafe des Himmels – ich verstehe Sie gar nicht und weiß nur, daß Sie ganz verblendet sein muß, wenn Sie Ihren hübschen Knaben nicht recht herzlich liebt. – Küsse mich, artiger kleiner Mann!« – Der Pfarrer herzte den Kleinen, aber Zaches knurrte: »Ich mag nicht!« und schnappte aufs neue nach des Geistlichen Nase. – »Seht die arge Bestie!« rief Liese erschrocken; aber in dem Augenblick sprach der Knabe des Pfarrers: »Ach, lieber Vater, du bist so gut, du tust so schön mit den Kindern, die müssen wohl alle dich recht herzlich lieb haben!« »O hört doch nur,« rief der Pfarrer, indem ihm die Augen vor Freude glänzten, »O hört doch nur, Frau Liese, den hübschen verständigen Knaben, Euren lieben Zaches, dem Ihr so übelwollt. Ich merk' es schon, Ihr werdet Euch nimmermehr was aus dem Knaben machen, sei er auch noch so hübsch und verständig. Hört, Frau Liese, überlaßt mir Euer hoffnungsvolles Kind zur Pflege und Erziehung. Bei Eurer drückenden Armut ist Euch der Knabe nur eine Last, und mir macht es Freude, ihn zu erziehen wie meinen eignen Sohn!« -

Weberin - 25. Jun, 20:00

Bildungslücke

vielen Dank für das Schließen meiner Bildungslücke.
Sturznest - 25. Jun, 20:02

Das ist kein Lücke...Das ist eine ganze Welt.
Ohne E.T.A Hoffman wäre Bulgakows Meister und Maergerita undenkbar
Weberin - 26. Jun, 09:23

Welten

ja eine Welt. ich muss unbedingt mehr von e.t.a. hoffmann lesen. das ist ja eine ganz und gar wundervolle geschichte.
june - 26. Jun, 00:17

Ich hab jetzt die anderen Komentare nicht gelesen,

sorry also, sollte mein Kommentar hier redundant wirken. Ich denke nämlich schon, dass es sich (auch) um ein Genderphänomen handelt. Unsicher wirken, Schwächen (Peinlichkeiten) zugeben, tasten, mehr Fragen haben als Antworten, ist im "typisch Mannsein" kaum verankert, nur wenige Männer stellen sich in aller Öffentlichkeit anders dar. Im Kleinen, im Privaten, okay. Im öffentlichen Duskurs, sogar wenn er unter Pseudonymen geführt wird, ist kaum Platz für Unsicherheiten. Das macht das Reden oft zum Spießrutenlauf - das zumindest ist meine Erfahrung - und "Ausnahmeerscheinungen", die ich sehrwohl kenne, sind für mich eher die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Weberin - 26. Jun, 09:25

Unsicherheiten

ich weiß gar nicht, was ich erschreckender finden soll, Dass ich so lange offenbar blind gewesen bin für die relevanz, die mächtigkeit der rollenmuster, oder die tatsache, dass sie nach wie vor so hervorragend funktionieren.
MelusineB - 26. Jun, 08:55

Ich lese - umkehrend - so:

Der Satz über die Kinder und ihren Quatsch klingt plötzlich gouvernantenhaft, vorher hatte er was oberlehrerhaftes. Worin liegt der - wirklich zarte - Unterschied? Gouvernanten erregen auch Mitleid. Ihre gesellschaftliche Stellung ist traurig. (Siehe Fräulein Rottenmeyer aus Heidi). Oberlehrer sind vielleicht lächerlich, aber auch mächtig. Sie erregen Zorn. (Siehe Professor Unrat). Die Entgegnung, die von einer Frau gesprochen, leicht zickig wirkt (beleidigter Abbruch), wirkt aus Männermund auf mich abgeklärt: Na, dann eben nicht.

Verstehen Sie, was ich meine: eine männliche Position wirkt in unserer Kultur immer mächtiger und damit auch ausgewogener, weniger selbstverteidigend als eine weibliche. Das liegt nicht an den individuellen Akteuren. Der Effekt kann natürlich durch andere überlagert werden, wenn dem ein klares Machtgefälle aufgrund sozialer Ungleichheit entgegensteht (Chefin - Angestellter o.ä.)

Weberin - 26. Jun, 09:14

Ohnmacht

Ah, ich verstehe. Und es leuchtet mir ein, was Sie da schreiben. Gut möglich, dass es das war, was ich von Anfang an gefühlt habe, so eine Art Ohnmacht. Und der Grund, warum ich mich dann über mich selbst geärgert habe, dass ich diese vermeintliche Macht anerkannt habe, anstatt sie zu hinterfragen. So tief sitzt das alles, und es braucht diese Art der Auseinandersetzung, um sich der eingefleischten Verhältnisse wenigstens bewußt zu werden.
phyllis - 26. Jun, 11:18

Der ist

sehr überlegenswert, dieser Kontrast zwischen zickig und abgeklärt, den Sie beschreiben, Melusine. Eine Frau, die sich aus einem Konflikt abwendet, scheint sich leichter in eine "Verlierer"-Rolle zu begeben als ein Mann, manchmal durchaus auch aus eigener Sicht.
Meine Schwester machte mich in diesem Zusammenhang kürzlich auf den unter Psychologen diskutierten Begriff des "Compassionate Mind" aufmerksam ; da möchte ich mich mal reinlesen, wenn ich zurück bin.

@Weberin
Auch das kommt mir vertraut vor: männliche Autoritätsgesten nicht ernsthaft zu hinterfragen. Was aber weniger eine Demutsgeste als ein "Na, dann eben nicht" - Impuls ist, glaube ich. Eine Ungeduld, manchmal denke ich, es könnte auch ein gutes Quentchen Arroganz dabei sein. Gleichzeitig weiß ich, dass ein solches mich Abwenden, egal mit welcher verabschiedenden Geste, aus meiner eigenen Sicht immer eine Art Schwächung darstellt. Trotzdem tu ich's immer wieder. Erst durch das Schreiben offenbaren sich da neue Haltegriffe, die den Absturz in immer dieselben Muster verhindern.

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