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Juni 2011
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Was in den Blicken liegt

Es gelingt ihr nicht, Mitleid in ihren Blick zu legen, nicht einmal für sich selbst. Wenn sie es versucht, erkennt sie sofort den schäbigen Geschmack der Lüge, der fehlenden Aufrichtigkeit. Sie könnte die Menschen beschreiben. Vielleicht. Ihre Augen, ihre Haltung, Gestik und Erscheinung. Aber es gibt keine Gerüche, kaum Farben. Seit sie hier ist, riecht sie nichts. Keinen der Menschen, nicht einmal die Gerüche im Speisesaal.
Morgens sah sie einen Mann an seinem Tisch sitzen, und es gingen ihr Worte durch den Kopf, seine mildtätige Arglosigkeit, das kindliche Zutrauen. Sie dachte daran, ihn zu einer Figur in einer Geschichte zu machen. Jemand, der zutiefst zutraulich und harmlos, freundlich und tatsächlich arglos erscheint und dann ähnlich mitleidlos und kaltblütig ist wie manche Figuren in französischen Filmen und Büchern. Jetzt da sie es niederschreibt, denkt sie an Simenon und den Mann der den Zügen hinterhersah. Es gibt so viele Bücher, die sie noch einmal lesen möchte und so viele, die sie noch gar nicht gelesen hat. Und es ist nicht mehr viel Zeit. Und doch gibt es immer wieder erstaunliche Umrundungen der Wirklichkeit.
Sherry (Gast) - 14. Jun, 12:27

...

Erstaunliche Umrundungen der Wirklichkeit in einer Welt, die vielleicht nur in unseren Augen eine ist. In einer eingebildeten Kohärenz, in der wir inzwischen schon wissen, dass sogar das Gefühl von Zeit ein Falsches ist. Mitleid, dafür muss man bei sich selbst sein, Bezug zu sich haben, um Mitleid mit anderen haben zu können. Ein gefährliches Unterfangen für eine Seele mit unsäglichem Vergangenheitsschmerz. Nicht wahr?

Weberin - 15. Jun, 09:36

Ich habe gerade Hiroshima mon amour gelesen und bin noch ganz mit dieser Aussage beschäftigt, dass im Grunde genommen, das Vergessen viel schlimmer ist als der Schmerz, an den man sich nicht mehr erinnern kann.
Danke Sherry, ich mag deine schönen Gedanken zu meinen Texten sehr.
Sturznest - 14. Jun, 16:49

Solche Männer sind meistens gar keine Männer, es sind verkleidete Kaninchen und man muss sich davor hüten, sie in Geschichten unterzubringen, denn die Wirklichkeit verzaubert sie schnell in nichtnmehrganzsogutfunktionierende Anrufbeantworter, das ist das tragische. Solche Männer sind zu allem fähig, aber durch ihre Unfähigkeit können sie leider nur staunen

Weberin - 15. Jun, 09:37

aber das Staunen ist das Wunderbarste überhaupt, es verwandelt Kanninchen in Witwen und Kolibris in Eisschränke. Nur Anrufbeantworter bleiben leider immer was sie sind.
Maryam (Gast) - 15. Jun, 08:34

Alles Eitel

Dieser Text ist wie eine Art Hintergrundmusik, die ich in allen deinen Texten wahrnehme. Sie ist schnörkellos, nüchtern und gerade durch ihre Gefühlsreduktion ergreifend schön, aber auch wahnsinnig traurig.

Und ich kann mich nicht gegen den Gedanken wehren, dass das am Ende auf einen wartet, wenn man angekommen ist, seinen Reifeprozess hinter sich hat, so als warte auf uns alle die große Ernüchterung, auf den einen früher, als auf den anderen, je nachdem wie viel er in seinem Leben erleben musste.

Gefühle scheinen in sich so falsch, hat man erst einmal erlebt, wie man sich mit ihnen ganz wunderbar selbst belügen kann. Und der Schluss liegt nah, sie zu reduzieren, hin zur Sachlichkeit und darauf hoffen, dass diese zart-subtilen [Mit]Gefühle, die nur indirekt zum Ausdruck kommen, dass wenigstens die echt sind.

Trotz dessen, mag ich mich nicht damit abfinden [noch nicht?], versuche lieber die echten Gefühle von den falschen zu trennen, herauszufinden, wann ich ehrlich zu mir bin.

Nur weil es so viel falsches Mitleid/Mitgefühl gibt, bedeutet das nicht, dass es kein echtes gibt, geben kann. Finde ich, das glaube ich.

Weberin - 15. Jun, 13:33

Ich glaube nicht, dass man irgendwann angekommen ist, dass es einen Zeitpunkt gibt, zu dem man den Reifungsprozess hinter sich hat. Dieser Moment ist vielleicht der Tod, aber wer weiß, vielleicht geht es sogar danach noch weiter.
Und die Ernüchterung, liebe Maryam, ist es möglicherweise die die Gefühle wirklich zulässt. Indem man nicht länger Vorstellungen nachjagdt, und so Enttäuschungen sammelt, sondern annimmt was ist, und erfährt, wie reich und wundervoll das Leben ist, in jedem Moment.
gerade habe ich in einem wunderschönen Blog dieses Gedicht von Marcia Bodrozic gefunden, dass ganz wunderbar sagt, was ich meine.
Maryam (Gast) - 16. Jun, 18:55

Ja-

Das glaube ich eigentlich auch nicht, aber ich hoffte, es gäbe da eine Schwelle, die man erreichen könne, eine die einem das Drängen vom Herzen nimmt und eine schöne Art der Gleichgültigkeit, du nennst es Annahme des Seins.
Sowas in der Art, meinte ich und ein wenig manchmal meine ich zu spüren, gleich zartem Schmetterlingsflügelwind.

Das Gedicht fällt mir sehr gut. Es ist so schön, in seiner Glanzlosigkeit. Aber es liegt ein schmaler Grad zwischen diesem und jenem. Wobei jenen die zerstörte Seele ist.

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